1951 - Die vergessene Pandemie

Schluckimpfung_Foto_Isenhuth_Bild_013.jpg
© Erich Isenhuth | Stadtarchiv St. Ingbert

1950er Jahre: Weltweit stellt die hohe Zahl an Neuinfektionen mit der Kinderlähmung (Poliomyelitis) die Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen. Auch das Saarland ist von der Infektionskrankheit betroffen und die Bevölkerung muss zahlreiche Einschränkungen in ihrem Alltag in Kauf nehmen.

By Zeitzeug:innen

Kinderlähmung, Fachbegriff Poliomyelitis (kurz Polio), ist eine von Polioviren hervorgerufene Infektionskrankheit, die überwiegend Kinder betrifft. Durch den Befall von Nervenzellen kann sie zu schwerwiegenden, bleibenden Lähmungen führen, wobei besonders die Extremitäten betroffen sind. In schweren Fällen kann es aber auch zu einer Lähmung der Atemmuskulatur kommen, die bei Nichtbehandlung tödlich ist. Übertragen wird das Virus meist durch eine Schmierinfektion. Die Krankheit beginnt oft mit harmlosen erkältungsähnlichen Symptomen wie Fieber, Halsweh oder Übelkeit, was die Diagnose erschwert.

Erste Hinweise auf die Krankheit gab es seit vielen Jahrhunderten, anders als bei anderen Erregern (wie bspw. der Pest) gab es jedoch bis zum 20. Jahrhundert keine großen Epidemien. 1908 entdeckten Karl Landsteiner und Erwin Popper schließlich das Poliovirus. Mit der Erfindung der sog. Eisernen Lunge um 1920, eines der ersten klinischen Geräte, das die maschinelle Beatmung eines Menschen ermöglichte, konnten große Fortschritte in der Behandlung erzielt werden.

Die 1950er Jahre markierten den Beginn einer Polio-Epidemie, die sich vor allem in Nordamerika und Europa ausbreitete – auch im Saarland, wie Zeitzeug:innen und auch Archivmaterial berichten. Im Sommer 1951 steigen die Fallzahlen im Saarland bedenklich an. So beschloss die Regierung einige Maßnahmen, um die Infektionszahlen in den Griff zu bekommen. Der Schulstart verzögerte sich immer wieder, die Schulen blieben in diesem Jahr schließlich bis zum 01. Oktober geschlossen. Neben Einschränkungen im kulturellen Leben (bspw. Schließung von Lichtspieltheatern), wurde auch die Nutzung von Schwimmbädern, Spiel- und Sportplätzen untersagt. Auch die deutsch-französische Grenze wurde verstärkt überwacht und Ausweise kontrolliert. Die Kinder wurden von ihren Eltern angehalten, nicht mit anderen Kindern zu spielen und sich regelmässig die Hände zu waschen. 

Die Entwicklung von Impfstoffen lief schnell an, aber die erste Massenschutzimpfung fand erst 1957 statt. Nachhaltige Erfolge zeigten sich aber erst mit Einführung des Lebendimpfstoff 1961. Diese wurde in Form einer Schluckimpfung in Kombination mit einem Stück Würfelzucker verabreicht. Im Zusammenhang mit dieser Impfung prägte sich besonders der Satz „Kinderlähmung ist grausam, Schluckimpfung ist süß“ in die Köpfe der Zeitgenossen ein. Die Schluckimpfung wurde bis 1988 durchgeführt, danach kam ein Totimpfstoff zur Anwendung. Seit 2002 gilt Europa offiziell als Polio-frei.

Die vergessene Pandemie

Die vergessene Pandemie

Zurück zum Anfang der Seite