1945 - Stunde 0 an der Saar

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© Fritz Mittelstaedt Landesarchiv des Saarlandes

Winter 1944: An den Endsieg, den das NS-Regime in den Volksempfängern täglich propagierte, war nicht mehr zu glauben. Viele Menschen waren bereits aufgrund des drohenden Bombenhagels erneut evakuiert worden.

By Zeitzeug:innen

Diejenigen, die nicht ins Reichsinnere in die Evakuierung gingen, suchten unter katastrophalen Bedingungen Schutz in alten Stollen oder Bunkern. Es war ein Leben zwischen Detonationen, Hunger und Dunkelheit. Durch den Einmarsch der US-Truppen am 21. März 1945 wurde dieser Zustand im Saargebiet beendet. Am 8. Mai, mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes, begann auch für die Menschen an der Saar die sogenannte Stunde 0, der Neubeginn und Wiederaufbau. Jegliche staatliche Ordnung war zu diesem Zeitpunkt aufgehoben.

Schon am 23. März, zwei Tage nach der Okkupation des Saarlandes durch die US-Truppen, wurde der Fabrikant Heinrich Wahlster zum neuen Oberbürgermeister der Stadt ernannt. Bürgermeister wurde der Kommunist Heinrich Detjen. Beide galten laut Liste als unbedenklich. Am 4. Mai setzte Colonel Louis G. Kelly, Oberbefehlshaber der amerikanischen Militärregierung in Saarbrücken, den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Hans Neureuter als Regierungspräsidenten ein.  Er wurde eineinhalb Jahre später durch den französischen Militärgouverneur Gilbert Grandval abgelöst.

Nach der Besatzung wurden belastete Personen im Zuge der Entnazifizierung ihrer Ämter enthoben, verhört und in Listen eingestuft. Viele von ihnen wurden in Internierungslager geschickt. Andere wurden zur Arbeit in Bergwerken herangezogen. Die Industrie war zu 40% zerstört und die Amerikaner leiteten sofort den Wiederaufbau ein, was jedoch ein mühsamer Weg war. Gemeinschaftsarbeiten  sollten von der Bevölkerung geleistet werden, die Anzahl der Arbeitsstunden richtete sich dabei nach Gesundheitszustand, Alter und Geschlecht. Zu den Arbeiten gehörte das Wegräumen von Trümmern, der behelfsmäßige Wiederaufbau von Wohnraum sowie der Wasser- und Stromversorgung.  Vornehmlich Frauen leisteten diese Arbeiten, da viele Männer noch an der Front, bzw. in Kriegsgefangenschaft oder gefallen waren. Saarbrücken lag in Trümmern, nahezu 80 % der Gebäude waren zerstört oder stark beschädigt, die Stadt war ein gigantischer Schuttberg. Saarlouis und der Raum Merzig wiesen ähnlich hohe Beschädigungen auf.  Das Fehlen von Baumaterialien, Transportmöglichkeiten und Arbeitskleidung erschwerten die Anfänge des Wiederaufbaus. Intakte Steine und Ziegel wurden aus dem Schutt geborgen und zum Wiederaufbau von Wohnraum verwendet, denn der fehlte an allen Ecken und Enden. Gerettete Möbel und anderes Inventar standen zeitweise auf den Straßen der Städte, die Menschen hausten in den Trümmern. Wie in anderen deutschen Städten auch,  gab es eine eigens eingerichtete Trümmerbahn, die den Schutt zu angelegten Sammelstellen, z.B. am Ludwigspark, brachte. Der Fährtransport war über einen längeren Zeitraum die einzige Möglichkeit die Saar zu überqueren, da deutsche Truppen sämtliche Brücken kurz vor Kriegsende gesprengt hatten, um die Alliierten am Übersetzen über die Saar zu hindern. Sperrstunden und Passierscheine zum Überqueren der Brücken machten den Alltag inmitten von Trümmern umso schwerer.

Neben dem fehlenden Wohnraum und blockierten Verkehrswegen war das größte Problem die extreme Nahrungsknappheit. Besonders in den Städten war die Versorgungslage teilweise katastrophal. Das Problem der Ernährung wurde durch die Rückkehr der Menschen aus der Evakuierung schlimmer: Die Viehbestände waren gesunken, die Äcker vermint oder zerbombt. Nahrungsmittel wurden über die Ausgabe von Lebensmittelkarten stark rationiert. Wer welche Menge bekam richtete sich nach Alter und Geschlecht sowie besonderen Zuständen wie Schwangerschaften. Diese Rationierungen wurden teilweise bis ins Jahr 1950 beibehalten. Diebstähle, z.B. von unreifen Kartoffeln waren an der Tagesordnung. Viele Städter fuhren auch mit Rucksäcken voller Haushalts- und Wertgegenständen in die ländlichen Regionen, um diese dort gegen Lebensmittel zu tauschen. Ab 1946 erhielten besonders bedürftige Kinder in den Schulen eine sogenannte Quäkerspeise, meist einen nahrhaften und kalorienreichen Eintopf oder Getreidebrei. Der Zeitzeuge Manfred Schneider berichtet im Gespräch mit uns von der schwierigen Versorgungslage und der Ausgabe der Quäkerspeise in den Schulen.

Eine weitere Herausforderung war die schlechte Hygiene, die vor allem durch den Zusammenbruch der Wasser- und Stromversorgung befeuert wurde, was den Ausbruch von Seuchen, allen voran in den Lagern der Displaced Persons, vorantrieb. Displaced Persons waren jene, die kriegsbedingt fern ihres Heimatlandes waren und nicht so einfach in ihre Heimat zurückkehren konnten. Hierzu gehörten auch Zwangsarbeiter. Für diese Personen, die im Reich z.T. unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten mussten, wurden von den Besatzern der US-Armee behelfsmäßig Lager errichtet, so auch auf dem Gelände der heutigen Universität.  Infolge der Seuchengefahr wurden Notfallkrankenhäuser eingerichtet, die auch Rückkehrer aus dem Krieg, der Gefangenschaft oder Evakuierung behandelten.

Im Juli 1945 übernahmen die Franzosen die Militärverwaltung an der Saar. Das Ziel war von Beginn an die politische und wirtschaftliche Abtrennung des Saargebiets von Deutschland. Auch Aufgrund der ökonomischen Relevanz der Saargruben sollte der Wiederaufbau schnell vorangetrieben werden. Dazu gehörten der Wiederaufbau der Infrastruktur und der Verkehrswege sowie der Verzicht der Demontagen, was die saarländische Wirtschaft stabilisieren sollte.

Im Laufe des Jahres 1945 versuchte die Bevölkerung langsam zur Normalität zurückzukehren: Schulen öffneten wieder, insofern sie weitgehend unzerstört oder wieder aufgebaut waren, es gab erste Kinovorstellungen, Kinder nutzten die Straßen und Trümmerberge als Abenteuerspielplätze. Allerdings blieb die Versorgungslage vor allem mit Lebensmitteln bis zum wirtschaftlichen Anschluss an Frankreich weiterhin eingeschränkt.

Saar100 - SR Beitrag zur Stunde 0

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