Im Gespräch mit Zeitzeug:innen

Alles andere als ein gewöhnliches Interview

Autor

Klaus Dittrich M.A. M.Sc. ist Journalist, Moderator sowie Mediator und leitete die Workshops zur Vorbereitung auf die Zeitzeug:innen-Gespräche.
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Klaus Dittrich M.A. M.Sc. berichtet über die Besonderheiten bei der Gesprächsführung mit Zeitzeug:innen, die er bei den Workshops den Interviewer:innen nahe gebracht hat.

Großartig - das war mein erster Gedanke, als ich von diesem Projekt erfahren habe. Das Sichern von Erinnerungen, das Weitergeben von Erfahrungen, frühere Generationen verstehen und das gute Gefühl, etwas einmaliges zu schaffen. Sozusagen ein kollektives Erbe für alle Saarländer:innen. 

Worüber wollen wir sprechen? Was wollen wir erfahren? Wie erfragen wir die Erinnerungen und Erlebnisse, die unter Umständen Jahrzehnte zurückliegen? Das sind die Fragen, mit denen sich alle am Projekt Beteiligten immer wieder auseinandersetzen müssen und wollen. Denn es geht um nicht mehr oder weniger als die Schaffung von etwas, das Jahrzehnte oder vielleicht sogar Jahrhunderte Bestand haben soll. Zum Vergleich: Historiker:innen können auf gesichertes Archivwissen aus Jahrhunderten zurückgreifen. Im Projekt "Zeitzeug:innen im saarland | Erinnerung. Multimedial. sollen Erinnerungen erfragt werden. Eine nicht ganz so einfache Aufgabe.

Als Journalist kennt man die typischen Fragen, die dazu dienen, Sachverhalte kennen zu lernen und zu verstehen. Das typische Interview eben. Für erfahrene Gesprächspartner:innen wie etwa Politiker:innen, Wissenschaftler:innen, Künstler:innen oder Vorstände von Unternehmen eine alltägliche Aufgabe. Sie wissen, wie man sagt, was Journalist:innen hören wollen.

Darum geht es bei den Gesprächen mit den Zeitzeug:innen gerade nicht. Es geht darum, Erinnerungen und persönliche (subjektive) Einschätzungen, Wahrnehmungen und Bewertungen zu erfragen. Nicht jeder ist im ersten Moment bereit, anderen Menschen die persönlichen Erlebnisse zu offenbaren. Das ist der Unterschied zwischen einem Interview und einem Gespräch. Die Voraussetzung für ein vertrauensvolles Gespräch ist der Versuch des gegenseitigen Verstehens.

Dazu eine kleine Geschichte: es war der erste von mehreren Tagen, an denen die Interviewer:innen auf die Begegnungen und Gespräche mit den Zeitzeug:innen vorbereitet wurden. Die erste Aufgabe: junge Menschen in die Lage zu versetzen, persönliche Erinnerungen von Menschen zu erfragen, die 40, 50 oder sogar 60 Jahre älter sind als sie. Die übliche Vorgehensweise bei solchen Aufgaben ist das Durchführen eines Rollenspiels. Die Teilnehmer:innen wechseln nacheinander in die Rolle des Interviewenden und der Zeitzeugin oder des Zeitzeugen. Ein relativ sicheres Setting, in dem es in aller Regel nicht zu Zwischenfällen oder unerwarteten Reaktionen kommt.

Wir haben uns für eine andere Übung entschieden: wir haben zwei Zeitzeugen eingeladen, der wusste, dass er ein Testkandidat sein wird. Der erste Kandidat war ein erfahrener Journalist im Ruhestand, der zweite ein ehemaliger Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde im Ruhestand.

Am Anfang die üblichen Fragen: an was erinnern Sie sich? Wie war das damals? Bei diesen Fragen sind die Antworten sehr kurz und die inhaltliche Tiefe begrenzt. Erst als die Fragen nach Empfindungen, Gefühlen, Freude, Trauer, Wut oder Enttäuschung gestellt wurden, haben sich die Testpersonen geöffnet.

Das Gehirn speichert emotional starke Erfahrungen deutlich besser ab und macht sie bei gezielter Fragestellung leichter abrufbar. Und hier liegt ein Risiko. Wie gehe ich als Interviewender damit um, wenn eine abgefragte Erinnerung die Gesprächsparterin bzw. den Gesprächspartner plötzlich in eine emotionale Ausnahmesituation versetzt? Wie halte ich es aus, wenn Kriegserinnerungen zu Tränen führen? Wie reagiere ich, wenn plötzlich Stille herrscht? Was mache ich, wenn ich den Zusammenhang nicht verstehe? Wie stelle ich sicher, dass ich die Erzählung richtig verstanden habe?

Es geht also um mehr, als nur um ein Gespräch, in dem Erinnerungen in einem Video festgehalten werden sollen. Es geht um den Menschen. Die gute Nachricht: mit Menschen umzugehen und mit Menschen zu sprechen und Menschen zu verstehen kann man lernen und üben. Genau das haben die Interviewer:innen  intensiv getan. Die überraschende Antwort am Ende des Gesprächs mit einem der Testkandidaten:„Ich habe noch nie so viel von mir erzählt, wie in diesem Gespräch.“

Das Aufbauen und Erhalten einer Verständnisebene füreinander ist die Voraussetzung für ein vertrauensvolles Miteinander. Kurz gesagt: Empathie. Empathie bedeutet: ich gehe einige Schritte in den Schuhen des anderen, um nachzufühlen, wie leicht oder wie schwer der Weg war, den er gegangen ist oder noch geht. Eine Fähigkeit, die in der generationenübergreifenden Wissenssicherung und der Kommunikation zwischen den Generationen eine immer größere Bedeutung erhält.

Ich bin sehr froh, in diesem Projekt mitarbeiten zu dürfen.

Klaus Dittrich M.A. M.Sc.

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